Jeder kennt sie, keiner mag sie – Sportverletzungen. Worüber sich die meisten Nicht-Poledancer, aber auch leider einige Poledancer, nicht bewusst sind, ist, dass Poledance – mag es noch so leicht, sinnlich und auch manchmal sexy aussehen – ein unheimlich anspruchsvoller Sport ist, welcher auch Verletzungspotenzial mit sich bringt. Es fängt schon an mit leichtem, auch manchmal schwerem Muskelkater, geht über blaue Flecken – oder wie wir Polerinas sie oft liebevoll bezeichnen, Pole Kisses – bis hin zu Handgelenk- und Schulter-Problemen, welche bspw. durch einseitiges Training entstehen können. Mit meinem Blog-Beitrag möchte ich niemandem Angst machen oder allgemeingültige Lösungen für den Umgang mit Knochenbrüchen / Verletzungen im Poledance geben. Jede(r) von uns ist individuell und das ist auch gut so!
Hole dir bei körperlichen Einschränkungen bitte vorher immer ärztlichen Rat ein und stelle ein ordentliches Training sicher. Vielleicht kann ich mit meiner Geschichte der einen oder dem anderen Mut machen und neue Sichtweisen eröffnen – das würde mich unheimlich freuen!
Die Vorgeschichte: vom Turnen zum Poledance
Seit meinem 5. Lebensjahr findet man mich (auch noch heute) regelmäßig in der Turnhalle. Boden- und Geräteturnen sowie Flexibilitätstraining übte ich jahrelang aus, bis ich schließlich keine Fortschritte mehr machen konnte. Deshalb dachte ich mir: ein anderes Hobby muss her. Nur welches? Zur Wahl standen Kickboxen und Poledance. Nachdem ich damals Bilder einer befreundeten Turnerin sah – sie machte einen Jadesplit und einen Russian Layback, wie ich später herausfand – war für mich klar: es wird definitiv Poledance!
Photo: Moving Art Images
Nach einer Schnupperstunde bei Gesine im Polestarz Germering nahm ich schließlich an zahlreichen Kursen und Workshops teil. Durch meine Vorkenntnisse aus dem Turnen klappten sämtliche Beginner Tricks gleich ohne Anstrengung – mein Ehrgeiz war gepackt! Jede Stunde musste eine neue Figur her, teils das Neueste aus der Instagram-Welt – vieles klappte auf Anhieb. Sogar den Bird of Paradise – ein One-Hit-Wonder auf meiner Trickliste – klappte recht bald. Nach und nach schlichen sich bei mir gewisse Marotten wie ein einseitiges Trainieren ein. Marotten, weil diese angewöhnten Verhaltensweisen definitiv nicht gut für den Körper waren. Auch wenn Fortschritte auf der „Baby Side“ bzw. der „Dark Side“ nicht so schnell ersichtlich sind, ist beidseitiges Training unheimlich wichtig und mittlerweile versuche ich es auch konsequent durchzuziehen, sofern mein Körper es zulässt. Ebenso ausgiebiges Warmup – aber dazu später mehr.
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Der Unfall – wie kam es dazu?
Leute mit trockener Haut werden es vermutlich gut nachvollziehen können: das leidige Grip-Problem! Für Personen wie mich mit trockener Haut ist es vor allem in Wintermonaten sehr schwierig, guten Grip an der Pole zu bekommen. Im Sommer, während andere schwitzen und rutschen, klebt man dann regelrecht an der Stange. Jedenfalls wich ich durch diesen fehlenden Grip oft auf die Nutzung von iTac aus und vermied aus Angst, zu stürzen, Figuren im Elbowgrip. Mir war dieser Grip noch nie sehr sympathisch, weil ich immer eine gewisse Instabilität wahrnahm. In unserer Diamant Class übten die Mädels fleißig an ihrer Elbow Grip Ayesha.
Ich sah ihre Ergebnisse und konnte nicht begreifen, wieso ich so Angst vor dieser Figur hatte und sie bei den anderen so leicht und einfach aussieht. Am Mittwoch, 11.03.2020, hatten wir ganz normal unseren Kurs und die Elbowgrip Ayesha stand wieder auf dem Plan. Beflügelt von meinem Ehrgeiz und den ermutigenden Worten meiner Pole-Mädels fasste ich mir ein Herz, packte eine Crash-Matte und legte mit dem Ayesha-Training los. Doch sie wollte nicht so recht klappen – meine Angst davor war zu stark. „Du musst dich mit dem Hintern raus kippen lassen, dann geht das ganz leicht“, riet mir eine Freundin.
Ich wollte es unbedingt schaffen und wurde unvernünftig, ja gar hektisch und unkontrolliert – nur um es ja möglichst schnell, aber erfolgreich, hinter mich zu bringen.
Pustekuchen. Dann ging alles ganz schnell: Durch die fehlende Kontrolle, die Angst und meine Hektik konnte ich mich nicht mehr halten und fiel von der Stange wie ein nasser Sack Mehr. Dabei landete ich zwar mit den Beinen noch auf der Matte, mein Kopf und meine Schulter schlugen jedoch auf dem Boden auf. Ich vernahm nur ein kurzes „Knack“. Dann richtete ich mich auf. Mir wurde schwindlig und auf einmal ganz kalt. Durch das Adrenalin im Körper schaffte ich sogar noch, mein T-Shirt anzuziehen und setzte mich an die Seite. „Alles ist ok, das ist jetzt nur der Schock“, dachte ich mir. Doch meine schmale Statur ließ schnell erkennen, dass es eben nicht okay war… Mein rechtes Schlüsselbein stand hervor und verfärbte sich umgehend blau. Ich wusste zwar, dass es gebrochen war, wollte es aber einfach nicht wahrhaben. Da ich meinen Arm gar nicht mehr heben konnte, brachte meine Mutter mich schließlich nach der Polestunde ins nächstgelegene Krankenhaus.
Die Krankenhaus- und Behandlungsodyssee
Diesen Teil wollte ich eigentlich kurz halten, da er für mich unschöne Erinnerungen hervorruft. Dennoch gehört er leider zur ganzen Geschichte…
Im Krankenhaus angekommen verfiel ich in einen Schockzustand und zitterte am ganzen Körper. Der Assistenzarzt konnte bereits ohne großes Röntgen klar erkennen, dass das Schlüsselbein gebrochen war und sprach aus, was ich einfach nicht hören wollte: „Das muss operiert werden, Frau Schmid. Morgen erscheinen Sie bitte um 9:00 Uhr pünktlich zur OP, es besteht Durchbruchgefahr.“. Gesagt, getan. Obwohl den Ärzten meine „Risikosportart“, wie sie Polefitness selbst beschrieben, bekannt war, wählte man die „kosmetisch schönste Lösung“ für mich, nämlich die Versorgung mit einem Hofer Pin, welcher in den Knochenhohlraum eingesetzt wurde und eigentlich nach 12 Wochen wieder entfernt hätte werden sollen. Wegen Corona wurde ich nach einer statt geplanter drei Nächte schnellstmöglich aus dem Krankenhaus entlassen, um Platz für mögliche Kranke schaffen zu können. Ich sollte meinen Arm nach der OP nicht über die Schulter anheben; Ruhe statt Physiotherapie wurde verordnet. Nach wenigen Wochen begann der Pin sich zu lösen und wanderte aus dem Knochen heraus. Nach Rücksprache mit drei Ärzten im besagten Klinikum entfernte man mir mit Ablauf der 12. Woche den Pin – es sei alles gut verheilt, neuer Knochen sei gebildet. Ich könne alles wieder wie gewohnt machen – auch Pole. Die Frage nach Pole hatte ich explizit gestellt, da ich ja bereits die Vermutung hatte, den Sport nicht mehr oder für längere Zeit nicht mehr ausüben zu dürfen. „Alles kein Problem“, sagte man mir. „Warten Sie noch bis zum Fadenzug, dann dürfen Sie wieder loslegen.“ Drei Wochen nach der Osteosynthese war es dann so weit: meine erste Polestunde nach knapp vier Monaten! Ich war aufgeregt und glücklich! Ich trainierte vorsichtig, vermied abrupte Bewegungen oder zu starken Druck auf die Schulter – die Stunde verlief gut. Alleine die Mädels wieder zu sehen war Balsam für die Seele.
Als ich im Auto den Rückwärtsgang einlegte, kam es zum worst-case-Szenario.
Ich merke ein „Knack“ in der Schulter und wusste sofort, dass das Schlüsselbein wieder gebrochen war. Vollkommen aufgelöst wurde mir diese Wahrheit im selben Klinikum wieder bestätigt. „Na dann versorgen wir es halt dieses Mal mit einer Platte.“ Eine dritte Operation wollte ich in diesem Krankenhaus partout vermeiden und holte mir eine ärztliche Zweitmeinung in der Hessing-Klinik Augsburg ein. Anhand der Röntgenbilder wurde dort festgestellt, dass sich durch die Wanderung des Hofer-Pins nur scheinbar Knochen gebildet hatte, welcher jedoch viel zu dünn war, um großen Kräften überhaupt Stand halten zu können. Auch aufgrund der Schwere des Bruchs hätte man mir dort von Anfang an zu einer Verplattung geraten. Also zwei Operationen umsonst. Vier Monate umsonst. Alles auf Anfang. Mich ziert nun also eine 12 cm lange Narbe, darunter eine Platte mit sieben Schrauben. „Deinen Sport kannst du nun an den Nagel hängen.“ Das dachte nicht nur ich mir, sondern wurde mir auch von einigen Freunden und meiner Familie gesagt. Nach und nach gab ich die Hoffnung auf, als ich nach acht Wochen meinen Arm immer noch nicht richtig über meinen Kopf anheben konnte.
Nie wieder Poledance? So ging es weiter.
Viele Dinge galt es nun zu akzeptieren: die eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Schulter, diese riesige Narbe auf der Schulter und allem voran die Tatsache, vielleicht nie wieder meiner größten Leidenschaft nachgehen zu können. Aus Medien wie Instagram zog ich mich lange Zeit zurück. Es macht einfach zu traurig, andere glücklich an der Stange zu sehen. Ab der siebten Woche nach der OP durfte ich langsam mit der Physio beginnen. Shoulder Mobility stand zunächst auf dem Plan. Nach drei Monaten teilte mir der Operateur bei einem Termin in der Hessing-Klinik dann mit, dass sich deutlich sichtbar Knochen gebildet hatte und die Beweglichkeit der Schulter erstaunlich gut sei. Er nahm sich viel Zeit und ich klärte ihn über Poledance auf. Anhand von Bildern und Videos machte er sich ein Bild von unserem Sport. Er riet mir zu weiteren Physiotherapie-Einheiten und mit derartiger Belastung bis zu sechs Monate zu warten.
Mein Weg zurück an die Pole
Drei Verordnungen mit Physiotherapie später war es endlich soweit. Ich entschied mich für einen sanften Einstieg in der Beginner Sensual Class, um mich zum einen langsam wieder an die Pole herantasten zu können, zum anderen aber auch aus Selbstschutz. Beim Tanzen werden meist keine anspruchsvollen Tricks in die Choreo eingebaut und ohne Heels stufte ich das Verletzungsrisiko relativ niedrig ein. Weiterhin arbeitete ich selbst auch an meiner Flexibilität, aber doch auch eher ohne Plan. Wenige Wochen vergingen, bis die Poledance Studios leider alle pandemiebedingt auf nicht absehbare Zeit schließen mussten. Wieder stand ich ratlos und traurig da – kaum angefangen soll es gleich schon wieder vorbei sein? Viele Trainerinnen wurden ja sehr erfinderisch und boten Online Classes an. Ob was etwas für mich ist, wagte ich doch stark zu bezweifeln. Bis ich einen Post von Carolin Schmitt sah. Viele kennen Sie als @pole_mimi. Sie begeistert regelmäßig mit ihrer Flexibilität und wunderschönen Shapes auf Instagram. Da ich eh seit längerer Zeit bei ihr trainieren wollte, buchte ich zunächst einen Monat Flexy. Fast jeden Tag nahm ich an verschiedenen Stunden ab Februar teil: Frontsplit, Backbend, Balance usw. Sie nahm dabei immer Rücksicht auf mein Handicap und bot Alternativen an.
Woche für Woche merkte ich, dass ich stärker wurde.
Im nächsten Monat buchte ich Beginner und Intermediate Pole sowie die Dance Class hinzu. Auch wenn das am Anfang eine unheimliche Umstellung und Herausforderung war, merkte ich nicht nur den körperlichen, sondern auch den seelischen Fortschritt. Es tat unheimlich gut, wieder etwas tun zu können. Mit anderen Menschen dieselbe Passion zu teilen. Später fühlte ich mich wieder so fit, dass ich sogar an Pole Intermediate – Advanced und Pole Advanced teilnehmen konnte. Mit meinen Einschränkungen weiß ich mittlerweile sehr gut umzugehen, nicht zuletzt durch Caro’s großartige Hilfe, auch wenn sie sich dessen vermutlich gar nicht so bewusst ist. Die komplette Lockdown-Zeit überbrückte ich nun so mit den Online Classes, bis die Studios endlich wieder aufmachen durften.
Seitdem trainiere ich nun regelmäßig Aerial Hammock und Pole im Moving Art Studio bei Lydia. Auch sie macht mir immer wieder mit einer Engelsgeduld Mut und hilft mir, wenn die Angst doch einmal wieder größer ist. Ab und an verirre ich mich auch wieder in die Turnhalle und probiere meist eigenständig schöne, aber leichte, Dinge am wunderbaren Aerial Hoop aus.
Zwei große Träume konnte ich mir nun endlich erfüllen, weil ich nach all den Strapazen einfach nicht mehr warten wollte. Und zwar war Riesentraum Nr. 1 mein erstes Aerial-Fotoshooting mit Andreas Liedl von Moving Art Images – ein paar Bilder aus diesem Shooting seht ihr sogar hier. Und Traum Nr. 2 ist eine Trainer Qualifikation bei Carolin Schmitt, welche ich derzeit absolviere. Ich hoffe, dass ich diese gut meistern kann!
Photo: Moving Art Images
Mein Fazit
Auch wenn diese Erfahrung alles andere als schön war, hat sie mich an vielen Stellen umdenken lassen. Das sind die wichtigsten Punkte, die ich für mich aus dem letzten Jahr gezogen habe:
- Trainiere nicht einseitig. Anderen kannst du vielleicht etwas vormachen, aber dir selbst nicht. Dein Körper wird es dir danken.
- Höre auf deinen Körper! Gib ihm die Auszeit, die er benötigt, und strapaziere ihn nicht unnötig, wenn du verletzt bist oder er dir anderweitige Schmerzsignale sendet
- Kläre auf! Bist du verletzt / hast du Schmerzen und wendest dich an einen Arzt, kläre ausreichend über deinen Sport auf. Fühlst du dich nicht verstanden, konsultiere möglicherweise einen anderen Arzt / Spezialisten. Kläre aber auch die Personen in deinem Umfeld auf, wie z. B. deine Trainerin
- Habe keine Angst, sondern Respekt. Angst lässt uns unüberlegte Dinge tun. Das führt im Allgemeinen zu Kontrollverlust und kann vor allem an der Pole, wo Kontrolle meines Erachtens das Wichtigste ist, sehr gefährlich sein. Respektierst du den Anspruch, den beispielsweise schwierige Figuren im Pole mit sich bringen, kannst du dich überlegt und schrittweise an diese herantasten. Nutze Vorübungen oder einen Trainer, der dich spottet. Respektiere deine körperlichen, aber auch deine seelischen Einschränkungen. (Ich für meinen Teil habe zum Beispiel festgestellt, dass ich Schmerzen beim Shouldermount wegen des Drucks auf das Schlüsselbein habe. Deswegen nutze ich andere Eingänge in den Brass Monkey. Elbow Grip bereitet mir nach wie vor Angst. Diese Figuren lasse ich entweder weg oder ich bitte um Hilfestellung / Spotting bei meinen Trainerinnen)
- Um gesund trainieren zu können, aber auch vorankommen zu können, ist regelmäßiges Stretching wirklich wichtig. Im Allgemeinen hat man in der herkömmlichen Pole Stunde nicht die Zeit, um bspw. Splits oder Backbend ausreichend zu trainieren. Hierfür bieten viele Pole Studios auch Hybrid Classes an, wodurch du auch von zuhause aus mit den Leuten im Studio trainieren kannst
- Setze dir Ziele. Deine Ziele sollten SMART sein: spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert.
- spezifisch: Was genau möchte ich erreichen?
- messbar: wie kann ich es quantifizieren?
- attraktiv: ist es mir wichtig?
- realistisch: kann ich dieses Ziel auch erreichen?
- terminiert: wann möchte ich dieses Ziel erreichen?
So hast du immer etwas, was dich antreibt und motiviert 🙂
- Und das Wichtigste: Vergleiche dich nicht mit anderen. Jeder ist individuell und besonders, wie er ist. Hinter einem einfachen „Instagram-Post“ steckt oft viel Arbeit und Training. Niemand ist als (makelloser) Poledancer geboren 🙂
Wenn du es bis hierher geschafft hast, möchte ich mich sehr für dein Interesse bedanken. Vielleicht hast du ja ähnliche Erfahrungen gemacht oder selbst Tipps, wie man mit so einer Situation umgehen kann? Schreib mir doch gerne und wir tauschen uns aus!